
Brecht, Busch, Donkey Kong
Elektrische Chansons, Punk-Attitüde, Drama, Schnaps-Schorle, Synapsen in Flammen. Dieses Duo aus Berlin stellt nicht nur Tanzflächen auf den Kopf. Eine Geschichte von Beats und Exzentrik.
Dass die Landschaften in Pop so divers, ja glamourös seien, ist doch irgendwie auch nur ein Mythos. Man kann diesen Betrieb viel eher als eine Art Klassenzimmer begreifen. Das ist nämlich ebenfalls viel gleichgeschalteter, als man zunächst annehmen würde. In verstrichenen Jahrzehnten stieß man hier auf unzählige Christians, Thomasse oder Sandras, und heute drehen sich unzählige Köpfe um, werden Emma, Lukas oder Mia aufgerufen. In den Playlisten der Welt herrscht ein ganz ähnliches Bild: Ein paar Genres, auf die sich alle geeinigt haben, dominieren den Klassenverband. Pop in seiner schlimmsten Form: der vorauseilenden Mittelmäßigkeit.
Doch dann ist da immer wieder mal dieses eine Kind, bei dessen Namen allein man schon sofort weiß, hier steht mal jemand anderes vor einem. Ein Kind, bei dem man weiß, es wird niemals aufgehen in der Soße der ganzen Stefans, Milas oder Emils. Sein Name… Gaylord Focker zum Beispiel. Leicht hat der es sicher nicht, aber über Langeweile geklagt wird woanders.
Ganz ähnliche Assoziationen rufen Prada Meinhoff aus Berlin hervor. Das Duo um Christin Nichols und René Riewer macht schon bei der allersten Berührung, Begegnung, beim allerersten Ton eines klar: All die ausgetretenen Pfade wirst du hier ganz sicher nicht finden – und Weitergehen auf eigene Gefahr.
Hinter dem attraktionsbeladenen Erstkontakt verbirgt sich dabei aber auch ein Act, der es bei allem Feuerwerk nie nötig hat, sich mühsam interessant zu machen – sondern der tatsächlich genau das einlöst, wofür Pop viel zu selten steht: Ekstase, Phantasie und Abriss. Prada Meinhoff – Mund auf, Augen zu!
Christin ist jemand, die eine Bühne besitzen kann, man denkt live sofort, klar, das gehört alles ihr hier. Ihre Performance ist eine Mischung aus hochverdichteter Inszenierung und Intuition. René regiert dazu seinen elektrischen Bass, während Beats den Raum füllen. Viel Schweiß, viel Euphorie, darum geht es – und wenn man es sieht und hört, kann man sich wirklich kaum vorstellen, dass das alles Mal ganz harmlos angefangen haben soll. Und doch ist es wahr.
So Berlin ein Act wie Prada Meinhoff wirken mag, so wenig urban beginnt diese Geschichte. Christin ist halb britisch, halb deutsch, wuchs auf in Spanien, in Norddeutschland machte sie die Schule fertig, für René kam es sogar noch ländlicher, von der Eifel ging es erstmal ins betuliche Mannheim. Sorry, Dude! Aber wer schlau ist, weiß natürlich, wie wichtig all solche rastlosen Provinz-Erlebnisse sind, bevor es einen in die große Stadt zieht. Denn du musst schon was Spannendes mitbringen, sonst malt Berlin dich einfach nur aus und das fertige Bild ist zwar grell, aber sieht eben irgendwie aus wie immer. Christin und René hatten allerdings nie Probleme, sich selbst ins Bild ihrer Kunst zu setzen. Doch erst ihre Begegnung machte das Match perfekt, oder wie es bei René heißt: „Chrissi bringt den Vibe, die Story, das Feuer, um meine musikalische Rakete zu zünden – klingt irgendwie versaut, egal, ist es ja auch.“
Gemeinsam liefern Prada Meinhoff ein Pulverfass aus Zeichen. Hier ist einfach so viel drin, diese Band läuft über. Man hat Bock, an Joan Jett zu denken, an Karen O von den Yeah Yeah Yeahs, an DAF, an eine wilde Nacht im Club, an Brecht, Wilhelm Busch und Donkey Kong – oder man kommt einfach zu dem Schluss: die Eurythmics sind wohl komplett verrückt geworden.
Wichtig ist allerdings wie schon erwähnt, dass das Vordergründige bei Prada Meinhoff niemals Selbstzweck bleibt. Es gibt trotz des unmittelbaren Look and Feel, das diesen Act ausmacht, immer auch eine zweite Ebene. Wer will, ist eingeladen, hier mehr zu finden als atemlosen Hedonismus. Das fängt ja bei diesem plakativen Namen schon an. In seinem Gegensatzpaar des obszönen Materialismus (Prada) und der gewalttätigen Durchsetzung linksradikaler Ziele (RAF) wird ganz bewusst auch eine Co-Abhängigkeit beider Extreme sichtbar gemacht.
Verinnerlichte Gewissheiten interessieren nicht, es geht vielmehr um die Frage, wo hören diese auf? Wo steht man selbst, was ist Show, was ist Klassenkampf? So hebt sich das zweite „f“ in Meinhoff auch nicht zufällig oder gar versehentlich von der 1976 in Stammheim gestorbenen Ulrike Meinhof ab. Hier wird deutlich, dass es eben nicht bloß um ein postmodernes Gulasch der Symbole geht, sondern dass auch Pop besser aussieht mit etwas Demut. Chrissi beschreibt den Willen zum Doppel-F dabei so: „Ulrike Meinhof, jeder kennt diesen Namen – aber es ist halt verdammt noch mal nicht mein Trademark, sondern ihrer.“
Dies hier aber nur unter uns – denn offiziell stammt der Name aus dem „Wu-Tang Name Generator“. Warum nicht? Selbsterfindung ist eine Waffe – beziehungsweise ein großes Privileg im Pop.
Prada Meinhoff muss man erlebt haben. Einzige Ausrede: Man ist bereits tot. Dann ist man entschuldigt. Der Rest ist allerdings eingeladen, mit diesen beiden extraterrestrischen Vögeln die Mittelmäßigkeit abzuschaffen. Come as you are.
Text: Linus Volkmann

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